frühchristliche Malerei und Plastik: Katakomben und Sarkophage

frühchristliche Malerei und Plastik: Katakomben und Sarkophage
frühchristliche Malerei und Plastik: Katakomben und Sarkophage
 
Vor dem Ende des 2. Jahrhunderts sind christliche Kunstwerke nicht nachweisbar und werden wohl auch kaum schon existiert haben. Denn seit Paulus hatten Theologen und Kirchenlehrer die Anfertigung von Kunstwerken und die Verwendung bildlicher Darstellungen strikt verboten, um dem Rückfall in den heidnischen Götzendienst und Bilderkult vorzubeugen. Die späte Entstehung eines eigenständigen christlichen Zweigs innerhalb der Kunst der späteren römischen Kaiserzeit war jedoch ein von praktischen Lebensbedürfnissen bestimmter Prozess, der auch von den Vertretern der Kirche nicht aufgehalten werden konnte. Bis zum ausgehenden 2. Jahrhundert hatte sich das Christentum über das gesamte Römische Reich verbreitet, woran selbst die massiven. Christenverfolgungen nichts zu ändern vermochten. Der christliche Gottesdienst verlangte nach geeigneten Räumlichkeiten für die Versammlungen der Gläubigen, für die Feier der Eucharistie und für die Spendung der Taufe. Eine der wichtigsten Aufgaben der Bischöfe und ihrer Diakone war die Fürsorge für die christlichen Begräbnisstätten, besonders seit die Kirche einen immer größeren Zulauf aus den Schichten der Ärmsten erlebte.
 
In den ersten beiden Jahrhunderten scheinen die Christen ihre Toten noch innerhalb heidnischer Friedhöfe begraben zu haben. Seit Anfang des 3. Jahrhunderts sind aber in Rom kirchlich verwaltete Friedhöfe nachweisbar, die wie die heidnischen Nekropolen außerhalb der Stadt an den großen Ausfallstraßen lagen. Da die zur Bestattung geeigneten Grundstücke knapp bemessen waren, setzte unter den Bischöfen Zephyrinus und Calixtus I. der planmäßige Ausbau unterirdischer Grabanlagen, der »Katakomben«, ein. Im Verlaufe zweier Jahrhunderte entwickelten sich diese zu weit verzweigten Stollensystemen, in denen die Mehrzahl der Verstorbenen in einfachen Wandfachgräbern (loculi) beigesetzt war.
 
Bald nach 200 begannen begüterte Christen ihre unterirdischen Grabkammern (cubicula) nach dem Vorbild heidnischer Mausoleen mit Malereien auszuschmücken. Vergleicht man die künstlerische Ausstattung der heidnischen und christlichen Grabanlagen, so werden zahlreiche übereinstimmende Züge erkennbar, die auf verwandte Jenseitshoffnungen hindeuten. An die Stelle mythischer oder allegorischer Gleichnisse traten in den christlichen Begräbnisstätten jedoch bildliche Dekorationen, die traditionelle Motive mit Darstellungen von Themen aus dem Alten und dem Neuen Testament verbanden. Die biblischen Episoden künden zumeist von wunderbarer Errettung aus Todesnot oder Krankheit und waren daher geeignet, der christlichen Auferstehungshoffnung gleichnishaften Ausdruck zu verleihen. Eines der wohl ältesten Beispiele christlicher Grabmalerei ist das Cubiculum Y in der Lucinagruft. Das geometrische Liniensystem, das die Deckenwölbung überzieht, und die eingestreuten Motive sind konventionelle Versatzstücke der römischen Dekorationsmalerei. Im Zentrum des Deckenmedaillons ist Daniel in Gestalt eines nackten Jünglings mit betend erhobenen Armen dargestellt, der von zwei Löwen flankiert wird. Die alttestamentliche Episode erscheint hier als emblematisch verkürztes »Zeichen«, das den Wunsch nach Errettung aus Todesbedrängnis ausdrücken sollte.
 
Aus der Fülle der erhaltenen Malereien bieten diejenigen in der Grabkammer der »Velatio« in der Priscilla-Katakombe ein gutes Beispiel für die in sich geschlossene Gedankenwelt frühchristlicher Katakombendekorationen: Die Hauptlünette gegenüber dem Eingang zeigt die Verstorbene als Beterin (orans), umgeben von Szenen, die an Stationen ihres irdischen Lebens erinnern. Auf den Seitenwänden sind das Opfer Abrahams und die drei Jünglinge im Feuerofen dargestellt, im Durchgang die Ausspeiung des Jonas. Die drei alttestamentlichen Episoden argumentieren wie das Danielmotiv zugunsten der Verstorbenen und stehen als Sinnbilder der erhofften Errettung aus dem Tode, vielleicht auch der Läuterung durch die Kraft des Feuers. Im Zentrum der Decke erscheint ein Schafträger, flankiert von zwei weiteren Herdentieren und umgeben von paradiesischen Landschaften mit Pfauen und Vögeln. Das verbreitete Motiv des Schafträgers wurde lange Zeit ausschließlich als allegorische Wiedergabe des »Guten Hirten« Christus gedeutet. Die heidnische Abkunft des Bildes und die bevorzugte Verwendung in der Grabkunst sprechen jedoch dafür, dass der Schafträger vornehmlich als Sinnbild des erhofften Friedens galt. Gleichwohl lag es nahe, das einprägsame Motiv mit den Hirtenparabeln im Lukas- (15, 1-7) und Johannesevangelium (10, 11-15) zu verbinden und auf Christus zu beziehen.
 
In der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts vollzog sich ein tief greifender Wechsel in den römischen Bestattungssitten. Die Verstorbenen wurden nun nicht mehr verbrannt und in Urnen beigesetzt, sondern in Erdgräbern bestattet. Wohlhabende Bürger errichteten für sich und ihre Familien aufwendige Mausoleen, in denen die Verstorbenen in gemauerten Steinkisten oder in prächtigen, mit figürlichen Reliefs verzierten Sarkophagen beigesetzt waren. Im Unterschied zur Katakombenmalerei, deren älteste Zeugnisse bald nach 200 entstanden, setzte die Herstellung von Sarkophagen für Christen erst nach der Mitte des 3. Jahrhunderts ein. Denn während die christlichen Malereien in den unterirdischen Grabkammern weitgehend verborgen waren, schien es in Zeiten ständig wiederkehrender Christenverfolgungen kaum möglich, Sarkophage mit christlichen Bildinhalten an öffentlich zugänglichen Orten aufzustellen. In Rom fertigten dieselben Werkstätten Sarkophage für Angehörige aller Religionen - für Heiden, Christen oder Juden - an; in der Regel wurden Sarkophage auf Vorrat gearbeitet oder auf Bestellung mit Bildszenen und Symbolen ausgestattet, die den religiösen Anschauungen der jeweiligen Käufer entsprachen.
 
In der langen Friedenszeit zwischen den beiden letzten großen. Christenverfolgungen - etwa zwischen 260 und 303 - erlebte die stadtrömische christliche Sarkophagkunst eine erste Blüte. Der Reliefschmuck zeigt deutlich die sich allmählich vollziehende Verschmelzung von traditionell heidnischen mit christlichen Bildelementen. Wie ein halbes Jahrhundert zuvor die Katakombenmaler, so benutzten auch die für Christen produzierenden Sarkophagbildhauer den ihnen vertrauten heidnischen Bildervorrat weiter und entwickelten daraus alt- oder neutestamentliche Szenen. So zeigt der kelterförmige Wannensarkophag von der Via Salaria ein verstorbenes Ehepaar mit Begleitfiguren im philosophischen Gespräch und bezieht Schafträger und Orans in die Szenerie ein; nichts deutet darauf hin, dass dieser Sarkophag seine Entstehung christlichen Intentionen verdankte. Einen entscheidenden Schritt weiter führt der etwa gleichzeitig entstandene Wannensarkophag in Santa Maria Antiqua: Durch die Erweiterung der Mittelgruppe um eine alt- und eine neutestamentliche Szene erweisen sich die Inhaber dieses Sarkophags als Christen. Die Gesichter der Verstorbenen - Lesender und Orans - sollten zu Porträts ausgearbeitet werden, was jedoch - wie bei vielen Sarkophagen - letztlich unterblieb.
 
Mit der offiziellen Anerkennung des Christentums unter Konstantin dem Großen (313) erlebte die Produktion christlicher Sarkophage, besonders in Rom, woher die meisten erhaltenen Exemplare stammen, einen erheblichen Aufschwung. Die rationelle Fertigungsweise brachte es mit sich, dass Reliefsarkophage jetzt für breitere Bestellerschichten erschwinglich waren. Gleichwohl lassen sich nur wenige Sarkophage wie der des 359 verstorbenen Stadtpräfekten von Rom, Iunius Bassus, mit historisch nachweisbaren Persönlichkeiten verbinden. Das Repertoire an christlichen Bildthemen erweiterte sich seit dem beginnenden 4. Jahrhundert beträchtlich. Die Fronten der ein- und zweizonigen Friessarkophage und die Deckelleisten wurden mit figurenreichen Szenen in gedrängter Fülle geschmückt. Bevorzugt waren alttestamentliche Episoden, in denen sich der unerschütterliche Glaube an das wunderbare Eingreifen Gottes manifestierte. Diese »Rettungsparadigmen« wurden ergänzt durch neutestamentliche und apokryphe Szenen, in denen. Christus oder die Apostel Petrus und Paulus als Wunderheiler, Retter und Vorbilder des Glaubens wirken. Daneben traten Darstellungen, in denen. Christus als himmlischer Lehrer und Herrscher erscheint, der die Apostel gleich einem kaiserlichen Hofstaat um sich versammelt hat. Die wenigen Beispiele verdeutlichen auch den Wandel, den das Christusbild im Verlauf des 4. Jahrhunderts erfuhr. In den neutestamentlichen Szenen der Friessarkophage ist der meist jünglingshaft gebildete Christus der Wundertäter, der kraft göttlicher Vollmacht Kranke heilt und Tote auferweckt. Die Rückseite des Mailänder »Stadttorsarkophags« zeigt hingegen einen bärtigen. Christus in herrscherlicher Pose, der den Aposteln sein Gesetz verkündet.
 
In Rom kam die Sarkophagproduktion gegen Ende des 4. Jahrhunderts zum Erliegen, wie auch die Bestattung in den Katakomben allmählich aufhörte. Für beide Phänomene sind die Ursachen bis heute nicht geklärt. Gleichwohl lebte die Sarkophagproduktion in anderen Zentren Oberitaliens (Mailand, Ravenna) und des Ostens (Konstantinopel) noch bis weit in das 6. Jahrhundert fort.
 
Prof. Dr. Arne Effenberger
 
 
Effenberger, Arne: Frühchristliche Kunst und Kultur. Von den Anfängen bis zum 7. Jahrhundert. Leipzig u. a. 1986.

Universal-Lexikon. 2012.

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  • Sarkophag — Steinsarg * * * Sar|ko|phag 〈m. 1〉 prunkvoller, steinerner Sarg (zur Bestattung hochgestellter Persönlichkeiten) [<grch. sarkophagos; → Sarg] * * * Sar|ko|phag, der; [e]s, e [spätlat. sarcophagus < griech. sarkophágos, eigtl. =… …   Universal-Lexikon

  • Katakombe — Ka|ta|kọm|be 〈f. 19〉 altchristl. unterird. Begräbnisstätte (bes. in Rom u. Neapel) [<ital. catacomba <spätlat. catacumbae; vermutl. <grch. kata „nieder“ + kymbe „Becken, Vertiefung“] * * * Ka|ta|kọm|be, die; , n <meist Pl.> [ital …   Universal-Lexikon

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